Pfarrer Sieber zum Projekt Brothuuse

Ich freue mich, Sie hier auf dem Grundstück des künftigen Wohndorfs „Brothuuse“ für Menschen in Not zu begrüssen. Gerne werde ich Sie zusammen mit dem Architekten heute aus erster Hand darüber informieren, was hier an diesem Ort in den kommenden Wochen und Monaten entstehen und gebaut wird.
Die Bezeichnung „Brothuuse“ ist die wortwörtliche, schweizerdeutsche Übersetzung von „Bethlehem“, hebräisch für „Haus des Brotes“ („bajit lehem“). Das Projekt „Brothuuse“ stellt ein Anliegen dar, welches mir persönlich seit Jahren, ja seit Jahrzehnten in ausserordentlicher Weise am Herzen liegt. Es soll hier eine Dorfsiedlung für mindestens 30 Menschen realisiert werden.
Ich erinnere daran, dass ich vor bald einmal 20 Jahren (am 18. Juni 1993) im Nationalrat eine Motion zur Verwirklichung eines Selbsthilfedorfes eingereicht habe. 147 von 200 Nationalratsmitglieder waren Mitunterzeichnende. Der Nationalrat überwies die Motion am 21. September 1994 und der Ständerat als Zweitrat am 24. Januar 1995.
Dass wir seit diesem Frühjahr konkrete Schritte zur Umsetzung der Idee eines Selbsthilfedorfs an die Hand nehmen können, geht unter anderem auf diese Motion zurück und ist die Frucht aller (Überzeugungs-)Arbeit im Grossen und im Kleinen – von mir persönlich und von all meinen Mitstreitenden, die dieses Herzensanliegen mit mir geteilt und – zusammen mit allen unter meiner Leitung ins Leben gerufenen Einrichtungen – vorangetrieben haben.
Es geht im Wesentlichen darum, Lebensraum und Wohnraum zu schaffen für Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Sie sollen hier ein Dach über dem Kopf und Boden unter den Füssen finden. Sie sollen aber auch – und hier setzt der Dorfgedanke an – einen Platz finden in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, in der dörflichen Gemeinschaft zwischenmenschliche Wärme erfahren und in einer christlich begründeten Solidargemeinschaft zwischen Hilfesuchenden und Helfenden, Starken und Schwachen, sollen die künftigen „Brothuuse“-Bewohner ihre eigene Menschenwürde (wieder-)finden und ihr Leben in christlich begründeter Selbstachtung und Selbstverantwortung führen.
Das Projekt „Brothuuse“ ist eingebettet in die verschiedenen Frontprojekte, die in den letzten Jahren unter meiner Verantwortung entstanden sind: • die Arbeit des Vereins „Pfuusbus“, einer mobilen Notschlafstelle in den Wintermonaten beim Albisgüetli • die Arbeit des Seelsorgezentrums „Brot-Egge“ in Zürich-Seebach, wo tagtäglich ungezählte Menschen in Not seelsorgerliche Hilfe und Unterstützung suchen und finden • die Arbeit des Notwohnprojekts „Brotstube“ in einem zwischengenutzten Wohnblock in Zürich-Seebach, wo seit mehr als zwei Jahren rund 35 Menschen in weitgehender Selbstverwaltung unter einem Dach miteinander wohnen.
Die Federführung für das Projekt „Brothuuse“ liegt ebenso beim Verein Pfuusbus, wie in der SWS (Stiftung Sozialwerke Pfarrer Sieber). In einem paritätischen Arbeitskreis unterstützt die Stiftung SWS das Projekt namentlich in finanziellen und administrativen Belangen. Die ideelle Verantwortung für das Projekt „Brothuuse“ liegt bei mir. Ich will und werde diese Verantwortung wahrnehmen, solange mich mein Schöpfer in meiner Arbeit belässt.
Das Resultat einer selbstbestimmenden, durch Eigenverantwortung tragenden Dorfemeinschaft in „Brothuuse“ soll Modellcharakter tragen für eine nachhaltige Integration. Während der Zusammenarbeit aller Beteiligten an diesem Projekt können neue Wege beschritten werden, um ein kreatives und nachhaltiges Projekt umzusetzen. Dies soll nicht nur in der Architektur sichtbar gemacht werden, sondern auch durch die zukünftige Dorfgemeinschaft gelegt werden.
Ebenso wichtig wie die architektonische Umsetzung von „Brothuuse“ (der praktische Aufbau der Gebäude) ist mir die ideelle Grundlage, das heisst: die theologische und christologische Mitte, aus welcher dieses Projekt gewachsen ist. Und damit steht auch der ekklesiologische Aufbau im Zentrum (der praktische Aufbau der Koinonia), das heisst: das gemeinsame Erschaffen von Lebensraum für die Menschen, die hier ihre Menschenwürde finden und in Selbstverantwortung leben sollen.
Das weitgehend in Selbstverwaltung gehaltene Wohn- und Betreuungsangebot der Dorfgemeinschaft hier in „Brothuuse“ deckt sich in den evangelischen und christuszentrierten Grundlagen, sowie im konkreten seelsorgerlichen und sozialdiakonischen Auftrag mit sämtlichen von mir ins Leben gerufenen Einrichtungen.
In allen diesen Projekten und Einrichtungen steht der Dienst am hilfsbedürftigen Nächsten im Zentrum, aber nicht im Sinne einer „Von oben herab“-Barmherzigkeit, sondern in der radikalen Nähe zwischen Hilfsbedürftigen und Helfenden, so wie sie unser Heiland Jesus Christus (gem. Lukas 10.25-37) im Sinn hatte. Diese Aufbauarbeit aus der christologischen Mitte heraus unterscheidet sich in aller Deutlichkeit vom landläufigen, säkularen Verständnis von Sozialarbeit.
Die Pyramide wird auf den Spitz gestellt.
Aus dieser christologisch begründeten Solidargemeinschaft zwischen Hilfesuchenden und Helfenden, zwischen Starken und Schwachen – eine Idee, als deren Hüter ich mich immer verstanden habe – wächst Gemeinde und Lebensraum für Menschen. Die Dorfgemeinschaft „Brothuuse“ wird ein lebendiges Zeugnis darüber ablegen, dass diese evangelische Utopie möglich und umsetzbar ist. Die hiesige Lebens- und Arbeitsgemeinschaft wird auf kommunitärer Basis zusammenleben. Das bedeutet, dass jedes Glied der Gemeinschaft durch persönliche Eigenleistung zur Selbsterhaltung der Gemeinschaft beiträgt.
Pfarrer Sieber anlässlich der Präsentation des Projektes auf dem Baugrund.

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